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Literatur Supermodel Veruschka

Die schönste und die traurigste Frau der Welt

Freier Feuilletonmitarbeiter
Sie war das erste deutsche Supermodel. Eine Heimat fand sie nie. Jetzt hat die Pop-Ikone der Sechzigerjahre ihre Autobiografie geschrieben.

Dicke Vera, gutes Kind. Das hat in der Blüte frühester Jugend kaum jemand gesagt zu der bald 1,83 Meter großen knochigen Bohnenstange, mit den hohen Wagenknochen und dem breiten Mund. Ein langes, linkisches Elend, das zudem Schuhgröße 45 mit sich schleppte – was später in einer Operation wenigstens auf Größe 43 kleingehackt wurde.

Sich selbst hielt Vera Anna Gottliebe Gräfin Lehndorff für unansehnlich. Kaum zwanzig Jahre später freilich wurde aus dem hässlichen Ostpreußen-Entlein ein strahlender Schwan: die hochgewachsene Deutsche mutierte Anfang der 60er-Jahre unter dem Kunstnamen Veruschka zum ersten Supermodel, vor dessen Schönheit die Weltpresse in die Knie ging.

Zwei mal wäre ihr Leben fast vorbei gewesen

Vieles in diesem mehrfach abgebrochenen, auch mindestens zweimal fast zu Ende gebrachten Leben passt nur unvollkommen zusammen, fügt sich nicht, führt nirgends hin. Bruchstücke einer Biografie, die gewaltsam in eine andere Richtung gesetzt wurde oder freiwillig einmal eingeschlagene Lebenswege verließ. Hier kommt eine Frau nie an, ist immer noch auf der Jagd nach sich selbst, ist sich scheinbar schamlos offenbarende Projektionsfläche für eine bildergierige Öffentlichkeit und dann wieder am Rande der Psychose taumelnde Sinnsucherin und Eremitin.

Neugierig, aufgeschlossen, gleichzeitig von Ängsten zerfressen, selbstzerstörerisch und freigiebig, misstrauisch und offen, extrovertiert und wie eine Schnecke im Haus. Das Blitzen der Kameras begeistert sie und schreckt sie ab, wärmt und isoliert sie. Sie zeigt sich und zieht sich immer weiter zurück. Und dabei ist es ausgerechnet ihr Körper, den sie lange nicht mochte, der sie schreckt, der sie im Stich lässt, ihre Spielwiese, ihre Erkundungsfläche, mal wie improvisiert, mal obsessiv.

Die Gier nach Leben

Veruschka, kleine Vera, so russisch zärtlich geflüstert, ist eine Kunstfigur, doch Vera, die preußisch Deutsche ist eine disziplinierte Körperkünstlerin. Bis heute. „Veruschka. Mein Leben“. Das alter Ego breitet diese schillernde, manchmal auch sehr traurige Existenz jetzt in Buchform aus. Geschrieben hat das Buch Vera Lehndorff. Ohne Grafentitel. Eine Bewohnerin Berlins. Alleinstehend, mit Katzen. Meist mit einer Kapuzenjacke anzutreffen, unter der die 72-Jährige mit den immer noch hinter einen Sonnenbrille das Leben anstaunenden Augen ihre Berühmtheit verbirgt.

Es ist keine echte Biografie, eher ein Mosaik aus Fragen des tastend insistierenden Koautors Jörn Jacob Rohwer und mal konkreten, mal weitschweifenden Antworten. Dazu Zeitzeugenberichte, Zeitungsausschnitte, Tagebuchexzerpte, Malereien, Fotos. Fetzen einer Chronik, die ein dichtes, aber kein vollständiges Bild liefern. Vera/Veruschka ist da, gibt sich preis und entzieht sich doch. Was bleibt, ist die Gier nach Leben, nach Authentizität, nach Wahrheit.

Veruschkas Vater wird zu Tode gejagt

Dabei ist in diesem, am 14. Mai 1939 in Königsberg begonnenen Leben so vieles Inszenierung, Pose, Fassade, fast von Anfang an. Da sind die Eltern, Graf Heinrich und seine schon vor der überstürzt geschlossenen Ehe schwangere Braut Gottliebe. Alter Ostpreußenadel, der jetzt auf seinem heruntergewirtschafteten Gut Steinort in Masuren eine Familie gründet. Vier Mädchen werden es, Vera ist die zweitälteste.

Kurz nach der Geburt der letzten ist der Vater tot, hingerichtet durch den Strang von Freislers Volksgerichtshof, weil er als Kurier für die Attentäter des 20. Juli in der Wolfschanze im nahen Rastenburg diente. Gleichzeitig war in einem Schlossflügel das Feldquartier von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop untergebracht. Im Buch sind Fotos zu sehen, wie Ribbentrop zwei blonden Lehndorff-Mädchen ein Pony schenkt. Das Idyll trügt: Ein Jahr später sollten die Männer des guten Onkels den Vater zu Tode jagen.

Der Krieg zerstört die Heimat

Der Krieg erreicht lange nicht das ostpreußische Paradies, doch dann zerstören es die Zeitumstände umso nachhaltiger. Der Vater gehängt, die Familie in Sippenhaft, die bis dahin arglosen Kinder sind von der Mutter getrennt in einem Nazikinderheim. Schwer traumatisiert, ohne Geld, heimatvertrieben schlagen sich die zunehmend depressive Mutter und die Töchter bei oft ungeliebten Verwandten in Westdeutschland durch. Schulen und Wohnorte wechseln.

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Vera bleibt sperrig und verstockt, findet nur in der Kunst und Malerei eine Oase. Aus dem spießigen Nachkriegsdeutschland und den vergangenheitssehnsüchtigen Adelskreisen, wo ihr Vater immer noch als Vaterlandsverräter diskreditiert wird und die Mutter mit den Kindern nie ausführlich über die damaligen Vorkommnisse spricht, will sie weg.

In der "Vogue" kommt sie groß raus

Der Ausbruch gelingt durch die Model-Karriere, für sie „eine angenehme Art der Flucht“, auch vor sich selbst. Die Deutsche, elegant und wild, ist interessant und auf einzigartige Weise schön, die Kameras und die Fotografen verlieben sich in sie. Die neu erfundene Veruschka wird zur Muse von Richard Avedon , Bert Stern, Irving Penn (er nannte sie „der Beatnik von der Park Avenue“), Horst P Horst und Dali.

Diana Vreeland, die legendäre „Vogue“-Chefredakteurin, betrachtet sie als ihr „personal pet“ und bringt sie groß raus, auf Fotostrecken als Ethnoqueen in der libyschen Wüste und als Schneepelzkönigin im eisigen Japan. Als Sirene der Swinging Sixties ist Veruschka aber schnell mehr als nur ein Gesicht, sie wird zur Verkörperung eines kosmopolitischen, glamourös hedonistischen Lebensgefühls, dessen stilprägende Wirkung bis heute anhält.

Versuch der Selbstbestimmung

Veruschka wird schließlich zur Ikone durch ihre Mitwirkung in Michelangelo Antonionis Film „Blow Up“ von 1966, der Dekade wie in einem Brennglas einfing. Obwohl sie dort nur eine Minirolle hat, wird ihr Auftritt als Objekt der Kamerabegierde David Hemmings’ zu einem Moment der Kinogeschichte. Doch so wie dort der Modefotograf nach einem Mord im Bildhintergrund, also nach der Wahrheit unterder schönen Oberfläche sucht, so ist auch Veruschka nichts mehr gut genug, sie sucht das andere, das wirkliche Ich hinter den aufgeschminkten Illustriertenidentitäten.

Einerseits entgeht sie dem immer wieder, wenn sie Zusammenbrüche und Klinikaufenthalte erlebt, sich dem Betrieb bewusst verweigert, der sie freilich immer wieder begehrt und als beinahe verlorene Tochter in seine gierigen Kommerzarme schließt. Anderseits versucht sie, in ihr Dasein als nur von anderen inszeniertes Feenwesen ein Minimum von Selbstbestimmung einzubringen.

Zweite Karriere mit Bodypaintings

Sie entwirft Kleider und Frisuren, schließlich die ersten ihrer Bodypaintings, mit denen sie eine zweite Karriere startet. Die Mischung aus Naturkind und Sexbombe vom anderen Stern fasziniert auch in den 70er- und 80er-Jahren nach wie vor die Presse und das Publikum.

Vera Lehndorff, der das frühere Leben immer mehr zur Last wird, bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung als „Madonna der Medien“ die „nackte Gräfin“ in der New Yorker In-Crowd zwischen Andy Warhol, Bianca Jagger und Halston. Sie macht bei Alice Schwarzers „Stern“-Kampagne „Ich habe abgetrieben“ mit und lebt mit oft jüngeren Männern zusammen, an die sie sich nur selten länger binden will, ein freies, oft ein wenig zielloses Leben.

"Ich war hässlich"

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Die Nomadin Veruschka, einst höchstbezahltes Model, dem das Geld durch die schlanken Finger rinnt, hat Karrieren hinter sich gelassen und Lebensmodelle. Immer musste sie der Enge entfliehen, räumlicher, wie geistiger. Seit 2005 ist sie wieder in Berlin. Doch bleibt sie eine Unbehauste, nonkonformistisch, wurzellos.

„Veruschka ist die schönste Frau der Welt. Sie hat sich selbst erfunden“, hat Richard Avedon gesagt. „Ich war hässlich. Bis ich mich entschied, schön zu sein“, kommentiert Vera. Nun hat sie (sich) Rechenschaft abgelegt, über ein internationales und doch seltsam deutsches Nachkriegsschicksal. Hat den unzähligen Bildern Worte folgen lassen. Neugierig auf das, was kommen wird. Wie wir Vera/Veruschka-Süchtigen.

Jörn Jacob Rohwer und Vera Lehndorff: Veruschka. Mein Leben. Dumont, Köln. 340 S., 24 €.

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